Betroffene zu Beteiligten machen
Statt Feinde und Widerstände ein Team voller Verbündeten!
Inhalt
Im Unternehmenskontext ist das obige Vorgehen keine Seltenheit: Sei es ein Kostensenkungsprogramm, eine neue Expansionsstrategie, eine Restrukturierung oder die agile bzw. digitale Transformation des Unternehmens. Solche Entscheidungen werden, so fühlt es sich jedenfalls häufig an, von einem auf dem anderen Tag getroffen, verkündet und anschließend direkt „ausgerollt“. Mitarbeiter werden vor vollendete Tatsachen gestellt und müssen sich von einem auf dem anderen Tag umstellen.
Die Entscheider der Veränderung sind meist sehr überzeugt von dem Schritt, finden das z.B. neue Vorgehen, das neue Programm oder die neue Struktur „Mega“ und verkünden es als Riesenchance für die Company. Man erwarte das alle mitziehen und sieht der Zukunft zuversichtlich ins Auge. Solche tiefgreifenden Veränderungen traten vor einigen Jahrzehnten noch alle 7-15 Jahre ein. Das Tempo und die Menge an gleichzeitigen Veränderungen nimmt in der aktuellen dynamischen Umwelt seit Jahren zu
Nachfolgend möchte ich Ihnen 4 beispielhafte Situationen (siehe Abbildung 1) mit unterschiedlichem Einflussbereich und Verunsicherungsgrad vorstellen und anschließend die möglichen Reaktionen darauf im Unternehmen diskutieren.
Neueinstellung
Die HR-Abteilung stellt einen Mitarbeiter, Max, für ihr IT-Team ein. Sie lernen Max an seinem ersten Tag kennen und beginnen damit ihn einzuarbeiten. Sie und ihr Team merken schnell, dass der neue Mitarbeiter fachlich und menschlich nicht ins Team passt. Nach ein paar Tagen kontaktieren sie die zuständige HR-Mitarbeiterin Petra und geben ihr Feedback zu Max.
Eine missliche Situation entsteht. Max hat bei seinem früheren Arbeitgeber gekündigt und ist extra für diese Stelle nach Bremen gezogen. Sie und Petra möchten Max ungern in der Probezeit kündigen, aber so wie es aktuell läuft, kann es nicht weitergehen.
Umstrukturierung einer Abteilung
Innerhalb einer Abteilung in ihrem Unternehmen soll eine Umstrukturierung erfolgen. Hierfür findet im kleinen Kreis ein regelmäßiger Austausch statt, um die neue Struktur zu erarbeiten und auch ein neues Arbeitsmodell festzulegen. Nach vielen, intensiven Diskussionen kann ein Konsens gefunden werden. Es wird beschlossen, die Betroffenen, die bisher nichts darüber wissen, über das Vorhaben in einem gemeinsamen Termin zu informieren. Ein kurzer Termin wird eingestellt und alle Betroffenen werden dazu eingeladen. In dem Termin stellt die zuständige Führungskraft mit ein paar Kernfolien die neue Struktur und das neue Arbeitsmodell vor und informiert die Betroffenen über die von nun an anzuwendende Struktur sowie das von nun an gültige Arbeitsmodell.
Die Verunsicherung und der Flurfunk beginnen bereits beim Erhalt des Termins bei allen Betroffenen. Alle fragen sich, was da kommen mag, räumen sich die Zeit frei und nehmen am Termin teil. Nach dem Termin herrscht rege Aufregung, denn sowohl die neue Struktur als auch das neue Arbeitsmodell haben enorme Auswirkungen für den Kreis der Betroffenen. Sie sind verärgert, verunsichert und fühlen sich in den Entscheidungsprozess nicht einbezogen.
Neues Leitbild
Die Managementberatung McQueensly war bei Ihnen im Hause und stellte fest, dass sie im Unternehmen kein vernünftiges Leitbild haben. Das Bestehende ist kaum einem Mitarbeitenden bekannt, obwohl sie es als Bildschirmschoner und an die Wände einiger Meetings gehangen haben. Auch die Führungskräfte des Unternehmens kennen nur Bruchstücke daraus und können die konkreten Maßnahmen dahinter nicht benennen. Es wird klar, dass die dahinterliegende Strategie nicht klar ist und auch nicht verfolgt wird.
Die Berater:innen empfehlen, Geschäftsführer:innen und einige Bereichsleiter:innen an der Neuentwicklung zu beteiligen. Sie initiieren mehrere Workshops und machen sich an die Arbeit. In den Workshops wird der Runde bewusst, dass das neue Leitbild deutlich konkreter wird, als das Vorherige und für einige im Unternehmen enorme Auswirkungen haben wird. Sie freuen sich über die Definition der klaren Ausrichtung, lassen die Ergebnisse von einem Assistenten oder einer Assistentin verschriftlichen und kommunizieren das Leitbild in einer Rundmail mit Anhang an den gesamten Führungskreis. Einige Tage später ist eine hohe Verunsicherung im Führungskreis erkennbar. Einige Kolleg:innen stellen Rückfragen und bitten um Klärung. Andere sind mit konkreten Punkten unzufrieden. So hat sich die kleine Runde der Erstellenden des neuen Leitbilds das nicht vorgestellt. Schließlich ist eine Menge Arbeit eingeflossen und sie sind davon begeistert und überzeugt. Wieso sind es die betroffenen Führungskräfte nicht?
Fusion
Der Vorstand entscheidet sich zu einer Fusion mit einem globalen Player. Dieser Schritt wurde über Jahre geplant und die Mitglieder des Vorstandes sind hocherfreut über den Zusammenschluss. Diese sinnvolle und zielführende Entscheidung wird ihrer Ansicht nach vielen Mitarbeitenden für die Zukunft Sicherheit bieten und ganz neue Entwicklungspotentiale ermöglichen. Die Mitarbeitenden des Unternehmens erfahren von den Plänen und der bereits geschlossenen Fusion aus einem Zeitungsartikel. Die Reaktionen der Mitarbeitendne sind:
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Fassungslosigkeit und Schock zu den möglichen, anstehenden Veränderungen
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Unverständnis, dass externe Medien diese Information vor den eigenen Mitarbeitenden haben
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Ängste über die Zusammenlegung von Abteilungen
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Enorme Verunsicherung über die Zukunft und die Sicherheit der Arbeitsplätze
Feinde und Widerstände – so geht’s
Anhand der geschilderten Situationen aus der Unternehmenswelt wissen sie nun, wie man sich mit bestimmten Handlungen Feinde schaffen kann und trotz guter Absichten enorme Widerstände bewirkt.
Entscheiden sie etwas in einem kleinen Kreis, dass Viele betrifft. Informieren sie weder zuvor noch mittendrin klar und eindeutig über ihr Vorhaben. Lassen sie kein Raum für Fragen und holen sie kein Feedback ein. Denken sie nicht daran, die Betroffenen zu beteiligen und konfrontieren sie die Betroffenen so spät wie möglich. Die daraus entstandenen Widerstände managen sie anschließend. Z. b. schreiben sie eine Rundmail, briefen die Führungskräfte und geben den Auftrag mit, für Ruhe in ihren Abteilungen zu sorgen. Nach ein paar Monaten legt sich die Unruhe und dann kann das Spiel auch wieder von vorn losgehen.
Ironie off. Niemand will sich in der Regel Feinde und Widerstände aufbauen. Dennoch erleben wir, dass weitreichende Vorhaben (z. B. Veränderungsvorhaben) leider häufig in einem kleinen Kreis angegangen werden, die Entscheidungen daraus mangelhaft kommuniziert werden und keine Einbindung von Betroffenen erfolgt. Häufig ist den Entscheidenden die Tragweite der Entscheidung nicht bewusst und es entsteht eine große Distanz zwischen den Entscheidenden und den Betroffenen. Die Entscheidenden befinden sich oftmals in einer eigenen „Bubble“ und gehen davon aus, dass das was sie für richtig und zielführend erachten, sicher auch anderen gefallen wird. Es werden Fakten geschaffen, die zu Verunsicherung und Unmut bei den Betroffenen führen. Ausgeschlossen zu sein weckt tiefe Ängste. Fühlen sie sich ausgeschlossen, so werden sie sich eher gegen eine Veränderung oder eine Entscheidung aufbegehren.
Bei den meisten Entscheidungen sind nicht alle Personen anwesend, die von der Entscheidung betroffen sind. Gewerkschaften verhandeln über Arbeitsbedingungen aller Mitarbeitenden, Vorstände entscheiden über Fusionen und Eltern entscheiden über einen Umzug der gesamten Familie. Die Lösung kann daher nicht sein, alle Betroffenen einzubinden. Zudem verlangsamt das Ganze den Entscheidungsprozess doch immens und führt zur Lähmung der Organisation, oder?
Betroffene zu Beteiligten machen – so geht’s besser!
Eine einfache Möglichkeit ist, Betroffene so bald wie möglich von dem Vorhaben zu informieren. Am besten, bevor Dritte davon erfahren. Noch besser ist es, aus Betroffenen Beteiligte zu machen. Involvieren sie als HR-Mitarbeiter:in einen Mitarbeitenden aus dem Team und binden sie Mitarbeitende in den Entscheidungsprozess mit ein. Ein Probetag mit dem gesamten Team geht noch einen Schritt weiter. Das Team fühlt sich mit einbezogen, darf (mit)entscheiden und fühlt sich wertgeschätzt. Natürlich kann auch ein:e Mitarbeiter:in oder auch das gesamte Team Fehlentscheidungen treffen, die Akzeptanz und der Umgang ist dann jedoch ein ganz anderer.
Menschen sind eher bereit ihre Ansichten zu ändern, wenn sie in den Entscheidungsprozess einbezogen werden.
Die zuvor geschildete Situation beschreibt insbesondere, wie Führungskräfte Mitarbeitende bei einem Vorhaben einbinden können. Auch der umgekehrte Weg ist gleichermaßen zu ermöglichen. Schaffen sie den Raum und die Rahmenbedingungen dafür, dass Mitarbeitende Ideen und Impulse einbringen und eigene Vorhaben initiieren können. Auch auf der Ebene der MitaMitarbeitenden können Ideen und Impulse ausgetauscht und Vorhaben geplant werden. Es muss nicht immer der direkte Weg zu einer Führungskraft oder Geschäftsführenden erfolgen.
Sobald Sie ein Vorhaben initiieren, dass viele Mitarbeitende betrifft, kommunizieren sie regelmäßig über den Stand der Dinge, veröffentlichen sie Zwischenergebnisse, lassen sie Feedback und Diskussionen zu. Damit stellen sie sicher, dass das neue Vorhaben allen bekannt und zugänglich ist. Letztendlich schaffen sie sich dadurch nicht nur keine Feinde und Widerstände, sondern legen den Grundstein für den Erfolg des Vorhabens. Und zwar einer, der von der gesamten Belegschaft mitgetragen wird. Schließlich ist es nun „unser“ Vorhaben und nicht das Vorhaben „von denen“.
Für Lesende mit wenig Zeit
Was können sie sich nun mitnehmen, ganz konkret?
Ausgeschlossen zu sein, weckt tiefe Ängste. Bei anstehenden Veränderungen im Unternehmen gilt: Machen Sie aus Betroffenen Beteiligte. Wenn das Veränderungsziel verstanden und akzeptiert wird und eine aktive Beteiligung ermöglich wird, so können aus potenziellen Gegnern aktive Beteiligte werden, die hinter dem Vorhaben stehen.
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Informieren und kommunizieren sie frühzeitig (vor Beginn des Vorhabens). Was haben sie vor und warum?
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Fragen sie danach, wer an welchem Thema mitarbeiten möchte. Dabei gilt es stets die echte Freiwilligkeit zu wahren.
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Machen sie aus Betroffenen Beteiligte – in jeglicher Hinsicht und mit allem was dazugehört.
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Lassen sie Ideen und Diskussionen zu. Veröffentlichen sie Zwischenergebnisse und seien sie stolz auf die erzielten Ergebnisse.
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Holen sie sich konstruktives Feedback über verschiedene Kanäle ein. Nutzen und verarbeiten sie positives und negatives Feedback (inkl. Rückkopplung) und binden sie die Feedbackgeber aktiv ein.
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Schaffen sie den Raum und die Rahmenbedingungen dafür, dass Mitarbeiter Ideen und Impulse einbringen und eigene Vorhaben initiieren können
Keine Sorge, das Ganze führt nicht zu einer Verlangsamung oder gar Lähmung ihrer Organisation. Ganz im Gegenteil. Investieren sie die Zeit, um wichtige Vorhaben zu planen und Entscheidungen gemeinsam zu treffen. Sie steigern damit die Akzeptanz ihres Vorhabens deutlich. Ihnen bleiben viele Widerstände erspart und letztendlich wird das Entschiedene dadurch auch mit einer deutlich höheren Wahrscheinlichkeit tatsächlich und nachhaltig umgesetzt. Mehr Akzeptanz, weniger Widerstände, bessere Entscheidungen, eine nachhaltige Umsetzung sowie zufriedenere Mitarbeitende. Das Ganze erreichen sie, wenn sie Betroffene zu Beteiligten machen. Klingt einfach? Probieren sie es aus! Über Feedback freue mich.
Quellen
(1) Handelsblatt (2019): Woran Firmenwandel so oft scheitert – und wie es besser geht. In: https://amp2.handelsblatt.com/unternehmen/management/karriere-woran-firmenwandel-so-oft-scheitert-und-wie-es-besser-geht/24171894.html; abgerufen am 20220218. (2) Johnson und Eagly (1990) (3) Brodbeck (2012): Man muss Betroffene zu Beteiligten Machen“, in: Personalführung, 4/2012, S. 44-49.